Mein Bauch spielt in die Fresse

Sie ist, nach Olaf Schubert, die zweitlustigste Frau Dresdens. Singen und unterhalten heißen ihre beiden Hauptberufe. Doch Anna Mateur ist auch als Privatperson aktiv. Ein Gespräch über soziales Engagement, über ihre Gemeinsamkeiten mit Rio Reiser und über ihre Chefinnenkrankheit.

Du kommst gerade aus dem Urlaub. Wo warst du denn?

In Helsinki. Nein, Quatsch, ich war an der Ostsee. Lange nicht gemacht, so einen Urlaub mit einer Bar nebenan, wo man Swimmingpool trinken kann. Schöner, langweiliger Abtauchurlaub nach der Hektik des Schaubudensommers war das.

Bist du der Typ Urlauber, der zwei Wochen regungslos am Strand liegt oder musst du dir immer alles anschauen?
Ich liege entweder zeichnend oder lesend am Strand. Aber wir schauen uns auch gern was an, nur Bunker oder die Stasi-U-Haftanlage angucken hätte mich dieses Mal fertig gemacht. Der Flyer dazu warb mit „Sie werden sich fühlen wie eingesperrt!“ und das wollte ich nicht. Das hebe ich mir auf fürs nächste Mal.

Was hast du im Reisekoffer, was andere nicht drin haben?
Zeichenzeug. Was noch? Texte zum Lernen, eine extra Büchertasche. Aktuell war da die Biografie von Rio Reiser drin, die sein Bruder Gert Möbius damals geschrieben hat.

(schweift ab zu den Leuten, die sie an der Ostsee getroffen hat, zu einer Karikaturenausstellung über Dicke und Veganer und endet bei dem Leid, dass die Band Karussell erleidet, weil sie bei jedem Auftritt „Als ich fortging“ spielen muss)

Als ich fortging – das passt. Du bist ja geborene Dresdnerin und lebst immer noch hier. Warst du jemals länger weg?
Ja, meistens einen Monat. Und ansonsten eben viel auf Tour. Ich hab 120 Auftritte im Jahr.

Ist das der Grund dafür, dass du nie länger weg warst?
Ja, aber es ist auch wegen meines Sohnes. Er hat ja Schulzwang. Es gab einen Riesenrabatz, als ich ihn drei Wochen mit in die Schweiz genommen habe. Die Schule hat es genehmigt, mit dem Zusatz, dass das bitte nicht nochmal vorkommt. Seine Urlaubslehrerin hat dann mit ihm in der ersten Stunde Marzipanschweine geknetet. Da war er neun. Reisen fetzt. Meine Freunde sind aus den heißen Ländern, aber mich zieht es immer in die kalten.

Fühlst du dich als Bühnenperson mitverantwortlich für diese Stadt?
Ich fühle mich als Mitbürger verantwortlich für diese Stadt. Wenn es schlimm wird muss man ja was machen. Man muss auf der Bühne die Mischung zwischen Zeige- und Stinkefinger finden. Ich bin gegen das Runterrasseln von Pamphleten, aber ich denke, dass man mit den Stücken, die man sich ausdenkt, Geschichten erzählen sollte, die die Gesellschaft spiegeln.

Mit „Dresden den Dresdnern, Chemnitzer raus“ beginnt ein Lied aus dem Jahr 2014 von dir…
… Es ist schon von 2012. Das hab ich ursprünglich als Kolumne für den 13. Februar gemacht.

Okay, so beginnt also das Lied von 2012, indem du dich in einen ironischen Abkapselungswahn hineinsteigerst. Wie hat sich dein soziales Engagement seit der Pegida-Gründung verändert?
Jetzt kommt die Syrer-Frage, oder?

Ich denke schon.
Mich interessiert nicht nur die Bühne. Jeder muss etwas weitergeben. Als Ausgleich. Du wirst über die Bühnen rumgereicht, bekommst die ganzen Preise und du sitzt auf deinem Kissen, fährst deutsche Bahn und sagst: Ach, niedlich die Leute in Baden-Württemberg. Du trinkst auf Tour den ganzen Tag Kaffee und schaust dir die Leute auf dem jeweiligen Marktplatz an. Nach Jahren denkt man dann, der Ausschnitt, den man da präsentiert bekommt, wäre die Realität. Irgendwann spricht man mit den Leuten und dann fragt man einfach: Wie viele Syrer habt ihr denn in Fulda? Und dann frage ich mich: Wie fühlt sich das an, wenn man hier ankommt? Was macht das mit den Leuten? Und heute frage ich mich bei jedem Taxifahrer: Was hat der eigentlich für einen Abschluss?

Und wie hast du in Dresden angefangen, dich mit Asylbewerbern anzufreunden?
Ich wohne neben dem Montagcafé des Theaters und ich hab mir immer vorgenommen, da mal was zu machen. Ich wollte in den Heimen auftreten und irgendwas mit Kindern machen, aber ich hab ja nur Schweinkram. Also bin ich dann montags einfach ins Café und hab angefangen, mit den Menschen Fahrräder zu suchen, ihnen Deutsch beizubringen oder die Leute untereinander zu vernetzen. Irgendwann war es mir viel wichtiger, was dort zu machen, als mich gegen Pegida hinzustellen und zu sagen: Ihr seid doof. Weil ich gemerkt habe, sobald ich mit Pegida Kontakt habe, überspringt es bei mir die Amygdala und ich raste aus. Aber das bringt uns nicht weiter. Ich habe ja dieselben Gene wie die Sesshaften, ich bin mit denen groß geworden, ich weiß, wo es herkommt. Deshalb sage ich: Leute, bewegt euch, lebt, liebt und reist! Seid neugierig!

Was ist das Wichtigste, das du aus deinen Begegnungen mit Asylbewerbern für dich mitgenommen hast?

(Erste Unterbrechung. Passenderweise betritt Hamid das Café, ein iranischer Asylbewerber, mit dem sie gemeinsam musiziert.)

Also, was hast du mitgenommen?
Ich habe gelernt, dass Gemeinschaft schön ist. Sie haben mich gefragt: Wo sind denn eure Alten? Bei uns spielen die draußen Backgammon und wenn im Café einer von 100 fehlt rufen 99 Leute an und fragen, wo du bleibst. Sie versuchen sich selbst zu definieren und gleichzeitig sind sie neugierig darauf, in dieses Deutschland abzutauchen. Selbst arabische Brüder wollen mal einzeln in eine deutsche WG mit anderen Deutschen, um zu sehen, was das eigentlich bedeutet, dieses Deutschsein.

Du gehst auf die 40 zu und die Karrierechancen sind etwas ausgedünnt …
… Das ist Quatsch.

Ja, aber das hast du bei einem Auftritt gesagt. Stell dir vor, das mit dem Singen geht morgen nicht mehr. Was würdest du dann machen?
Zeichnen. Und was mit Kindern und jungen Erwachsenen machen. Ich möchte leben und nicht überleben.

Das war jetzt eine theoretische Frage, denn deine Stimme klingt ja immer noch fantastisch. Warum hast du beschlossen: nur seriöse Lieder damit zu singen, das reicht mir nicht?
Das habe ich nicht beschlossen, das ist Temperament. Ich gehe nie auf die Bühne und denke, heute mache ich mal einen Joke nach dem anderen. Man sollte neutral sein und nicht versuchen, irgendeine Figur im Kopf zu haben, die man verkörpern möchte. Wie ich damit umgehe, entscheide ich im Moment. Ich denke nicht drüber nach, ob ich richtig die Sau raus lasse. Es geht mir um den Inhalt und manchmal wird’s eben lustig.

Jetzt singst du aber ernste Lieder. Die von Rio Reiser, der vor 20 Jahren starb. Da warst du 19. Hattest du deine Reiser-Phase zu seinen Lebzeiten oder postum?
Postum. Ich wurde komplett davon abgeschirmt, übrigens auch von Ostrock, ich lebte, was das betrifft, komplett im Tal der Ahnungslosen. Bei uns zu Hause hat man Ella Fitzgerald, Klassik, Herman van Veen und ganz viel Manfred Krug gehört. Den hab ich gehasst als Kind, heute liebe ich ihn. Aber als ich Songs wie „Um nicht allein zu sein“ gesungen habe, da kamen die Leute und haben gesagt: Du musst mal Reiser machen! Irgendwann kam auch Jan (Jan Maihorn, einer der beiden Komponisten des Rio Reiser-Abends, Anm. der Red.) und sagte: Du musst mal Reiser machen!

Rio Reiser liebte die Menschen, war ziemlich links, von allen politischen Parteien enttäuscht. Er war einer, der kritisch auf die kapitalistische Konsumgesellschaft blickte. Was hast du mit ihm gemein?
Ich sehe wahrscheinlich aus wie seine Mutter. Aber die Einstellung dürfte die gleiche gewesen sein. Ich muss mich nicht wie ein Punk anziehen oder mein Bein auf eine Bierkiste stellen um Reiser zu singen. Ich find das auch sehr vermessen, das Konzert jetzt, wo er tot ist. Da kann man sich schön neben das Poster stellen und sagen: Der Rio und ich. Ich wehre mich dagegen, denn es fehlt die andere Person, die sagt: Ja, mit der Anna gehe ich einen saufen. Also ich könnte es mir schon vorstellen …

Fragst du dich manchmal, wie zufrieden er wohl heute wäre, wenn er noch lebte?
Nein, das frage ich mich nicht. Aber er würde sich ganz viel engagieren und etwas gegen Pegida machen. Ich glaube, er war ein Idealist und hat kapiert, dass man die Leute verbinden muss und nicht trennen. Ich bin dafür bekannt, dass ich sage: Scheiß Pegida! Aber wenn man mich kennt, weiß man, ich meine auch, man muss im Gespräch bleiben. Wir auf der Bühne müssen Brücken bauen! Ich mache auch keinen Gott aus Rio Reiser und baue ihm keinen Altar auf der Bühne.

Was sind eigentlich „andere Lieder von Rio Reiser“? Nerven dich „König von Deutschland“, „Für immer und dich“ und „Junimond“ sehr?
Nö. Ich wollte selber mal ein Programm mit den schlimmsten, abgenudelsten Popsongs machen und sie dann anders interpretieren. Das mit den „anderen Liedern von Rio Reiser“, das war Jans Entscheidung, ich hätte keine Probleme damit gehabt. „Halt dich an deiner Liebe fest“ ist aber im Programm, das ist ja auch so ein Hit.

Wie kamst du zur Erfurter STÜBAphilharmonie, ein junges und ehrenamtlich agierendes Orchester, das auch schon des Öfteren mit Clueso auftrat?
Es sollte ein junges Orchester sein und Jan ist dann beim Stöbern in Cluesos Plattensammlung über die experimentelle STÜBAphilharmonie gestolpert. Die haben sich aus verschiedenen Landesjugendorchestern heraus gegründet. Neben ihren Engagements in professionellen Orchestern, machen sie auch gemeinsam Musik und zwar genau die Musik, die sie selber hören wollen. 70 Leute sind das, ein richtiges Symphonieorchester.

71 Leute auf der Bühne des Alten Schlachhofs?
Wird eng. Aber ich finde es schön, wenn die Leute nah an mir dran sind. Und sorry, aber manche Lieder mit diesem Orchester klingen sogar besser als das Original. Das wird die Leute umhauen.

Das Rio Reiser-Konzert in Leipzig musste aber abgesagt werden. Zu wenige hatten Karten dafür gekauft. Wie bekannt ist Anna Mateur eigentlich außerhalb des Tals der Ahnungslosen?
Schon bekannt, aber nicht zu bekannt. Eine schöne Mischung, die ich gut leiden kann. Ich finde es sehr entspannt, wenn man nicht immer erkannt wird. In der Sauna zum Beispiel, wenn da einer sagt: Das glaub ich jetzt nicht, ich mit Anna Mateur in der Sauna …

Du bist keine Künstlerin mit Ost-Stempel, sprichst Hochdeutsch, wenn du willst. Wo ist deine Nische, wie kündigt man dich an?
Ich hab eine Kiste voller Ankündigungsadjektive und Vergleiche: Nina Hagen kommt oft, Bette Midler – wahrscheinlich wegen Humor und Profil – und Ella Fitzgerald, die hatte auch viel Humor. Ich habe aber Gesang studiert und nicht Humor, das ist einfach in meinem Körper angelegt.

Oft wirst du Multitalent genannt. Bist du eins?
Nein, ich bin einfach musisch. Ich kann singen und zeichnen. Das können übrigens viele Künstler. Ich kann mich auch noch sehr gut bewegen. Als Kind haben die Ärzte immer gesagt: Schicken sie das Kind zum Tanz, sie ist sehr beweglich. Und wo bin ich gelandet? Im Chor! Ich, stillsitzen! Ich war aber schon immer der Clown, und das ist nicht abwertend gemeint. Clown sein ist was Tolles, ich kann respektlos sein und habe so eine Art Narrenfreiheit.

Was willst du dadurch zeigen?
Seitdem mal einer in einen See geguckt hat, indem er sich spiegelte, seitdem kontrollieren wir unsere Außenwirkung. Die Leute fangen in der Öffentlichkeit an wichtig zu schmatzen (Schmatzt wichtig) und richtig einzuatmen. (Macht merkwürdige Menschen in YouTube-Tutorials nach). Ob du dabei stolzierst und hinter dir die Pfauenfedern ausklappen oder ob du dich mit zerlöcherten Hosen an den Bühnenrand setzt und sagst: Hach, ich bin halt so; sobald du eine Bühne betrittst, weißt du, es ist eine Bühne. Und ich spiele gern mit den Erwartungshaltungen. Ich muss nur aufpassen, dass das Tourette nicht in den Elternabend reinwächst. Mein Bauch spielt ja gern mal in die Fresse.

(Zweite Unterbrechung. Jetzt kommt ihre Schwester ins Café, die gar nicht in Dresden wohnt. Sie dreht auf dem Absatz um und wird freundlicherweise erst am Ende des Gesprächs wiederkommen.)

Dein „Büro für Ordnung und Chaos“, das über ein Jahr einmal monatlich in der Scheune stattfand, ist vorerst geschlossen. Was war das für eine Erfahrung, mit so vielen Leuten auf einer Bühne ein mehr oder weniger improvisiertes Programm aufzuführen?
Das war ein Riesengehirnfasching. Das Thema ist noch nicht erschöpft, ich denke immer noch permanent darüber nach. Immer wieder Ordnung und Chaos. Ich hab sogar im Urlaub Wörter für Ordnung und für Chaos nebeneinander aufgelistet.

Wofür gibt’s denn mehr?
Für Ordnung. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich aus Deutschland bin. Sowas macht mir wahnsinnig Spaß, das ist eine schlimme Macke von mir. Rio Reiser hat übrigens ganz viele Chaos-Wörter in seinen Texten. Einen Kern zu haben, der etwas möchte, ob das jetzt Liebe ist oder Revolution, das ist alles Chaos. Und Bewegung. Deswegen reise ich auch und neuerdings gehe ich sogar ins Fitnessstudio.

Echt?
Ja, aber nicht um abzunehmen, sondern um nicht müde zu sein.

Fit musst du auch sein, denn ab Oktober spielst du eine Rolle in einer Operette namens „Frau Luna“ im Tipi am Kanzleramt in Berlin. Da bist du wieder eine von vielen, aber diesmal nicht die Chefin. Liegt dir das Unterordnen?
Das habe ich mir explizit gewünscht, weil ich zu oft Chefin war. Da wird man chefinnenkrank. Man hat so ein Ego, und das sagt immer: falsch. Um wieder runterzukommen, brauch ich ein großes Team. Da spielen ganz viele tolle Leute mit, alles Alphatiere aus der Kleinkunst. Ich kann meins machen, aber in einem Rahmen, habe keine Hauptrolle, sondern spiele die Zofe der Herrin über den Mond. Fünf Mal die Woche, vier Monate durchsingen wird aber bestimmt auch krass.

Und wie geht es danach weiter? Kommt endlich der gemalte Roman zur Weltlage? Oder ein neues Musikprogramm? Oder kümmerst du dich um den Weltfrieden?
Ich kümmere mich IMMER um den Weltfrieden! Und dann werde ich meine Radiokolumnen endlich mal in ein Buch verwandeln. Mit eingesprochener CD. Aber erst einmal reise ich nach Rio, hahaha.

Aber nur zwei Tage.
Ja, aber ich hab dann bestimmt ganz schön Jetlag.

 

Fotocollage: Anna Mateur

 

PS: Wenn man auf dieses Bild klickt, darf man sich am Ende auch in die mittlerweile recht lange Liste der Freikartenbewerber um zwei Freikartenpaare für den Rio Reiser-Abend einreihen.

Anna mal anders

 

 

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