Ein Weltverbesserer pausiert
Wouter Mijland lebt jetzt auf dem sächsischen Land. In einem alten ausgebauten Bauwagen. Zwei Öfen, Schaffelle vorm Bett, ein kindsgroßer Gartenzwerg grinst über alles hinweg. Vor seiner Tür gibt es eine Wassergrube, die ersten Beete sind angelegt. Drum herum stehen Obstbäume, ein paar Häuser und Scheunen, ansonsten weite Sicht über Wiesen und Felder. Katzen streunen über den Hof, in der Nähe weiden Schafe. Das ist Ebendörfel, eine sächsische Ortschaft in der Gemeinde Großpostwitz, nur ein paar Autominuten von Bautzen entfernt. Wouter Mijland wurde Ende 2012 ihr 226. Einwohner. Oder Mitbewohner − sein Bauwagen steht auf dem Grundstück einer befreundeten Familie. Bis Jahresende wohnte der gebürtige Holländer in Dresden. Der Liebe wegen. Zur Arbeit fuhr er nach Finnland, Norwegen, Schweden, Russland, Spanien, Afrika oder Südamerika. Als Forstingenieur und -berater ist die Welt sein Einsatzgebiet. Wo er hingeschickt wird, geht es vordergründig um die Planung von nachhaltigem Holzabbau, das Schaffen von Strukturen, um Qualitätsmaximierung. Doch Mijland ist kein Theoretiker. Er nimmt immer teil am Leben vor Ort, schaut genau hin und erkennt so Dinge, die andere nicht sehen oder nicht sehen wollen.
1975 in dem kleinen holländischen Dorf Loenen op de Veluwe geboren, fühlt sich der kleine Wouter allein am wohlsten. Die meiste Zeit seiner Kindheit verbringt er im angrenzenden Wäldchen, spricht mit den Tieren, kennt sich dort bald besser aus als in seinem Zuhause. Sein Zuhause, das ist eine überarbeitete Biologielehrerin und ein mürrischer Vater, der sich mit dem Job als Schulmeister arrangiert hat, aber eigentlich Maler werden wollte. Wouter Mijland bekommt die Frustration seines Vaters zu spüren, immer wieder bricht der aus, zertrümmert die Wohnung und schlägt um sich. „Was ich von meinem Vater gelernt habe ist, dass ich mich nirgends hinein pressen lasse, sondern so frei wie möglich lebe und mache, was ich wirklich tun möchte.“ Die Schule hasst Mijland und lässt sie dementsprechend oft sausen. „Mir war es egal, ob ich eine eins oder eine fünf bekomme. Diese Art der Leistungsschau war mir immer fremd. Wenn ich mich gegen soziale Ungerechtigkeit eingesetzt habe, gab es meist Ärger.“
In der Pubertät verhärten sich die Fronten zwischen ihm und seinen Eltern, er kommt nur noch zum Essen nach Hause, mit 15 haut er ganz ab. Der Halbstarke beginnt als Förster zu arbeiten, ein Beruf, für den man in den Niederlanden keine spezielle Ausbildung braucht. Er zieht in die nahe gelegene Stadt Arnheim in eine besetztes Haus, lernt Gitarre spielen und baut seine ersten Skulpturen, einfach, weil so viel Brauchbares rumliegt. Bald studiert er an der Kunstakademie in Arnheim, baut riesige Objekte aus Metall und Schrott, die oft als Theaterdekoration Verwendung finden. Nach einem Urheberstreit über die gefertigte Kunst mit einem Freund entscheidet er sich für die Natur.
2004 reist er im Rahmen eines Forstprojekts nach Kamerun. „Afrika hat mein Leben total verändert. Es war ein Abenteuer, vor allem aber war es eine Rieseninspiration, eine vollkommen andere Welt.“ In den Forstaktivismus rutscht er einfach rein. „Vor meiner Abreise aus Holland war ich im Büro des Direktors, für dessen Unternehmen ich arbeiten sollte. Der hat mich vollgequatscht, mir von seinem Golfplatz erzählt, seinem Schwimmbad und seinem eigenen Wäldchen. Alles schön und gut. Aber später kam heraus, dass diese Firma ihren afrikanischen Waldarbeitern noch nicht einmal Gummistiefel gekauft hat!“ Auch die angeblich nachhaltige Forstwirtschaft Kameruns entpuppt sich als Lüge. Mijland nimmt sich vor, es besser zu machen. Der Bericht, den er danach an Greenpeace schickt, sorgt dafür, dass Kamerun das erste Nachhaltigkeitszertifikat für Wald und Holz in Westafrika wieder verliert und das Verfahren verbessert wird. Danach erhält er in Holland jahrelang keine Aufträge mehr. Aber sein mutiges Fazit bringt ihm Expeditionen in Krisengebiete ein. „Es spricht sich herum, wenn einer Probleme angeht und keine Angst im Regenwald hat.“
Und nun Ebendörfel. Sein deutsches Landleben ist spartanisch, aber auch geprägt von ein paar exotischen Ritualen, die er sich mitgebracht hat. Am nächtlichen Lagerfeuer kommuniziert er gelegentlich mit Wald- und Wassergeistern, das hat er bei den südamerikanischen Arowaken-Indianern und den Baka, den afrikanischen Waldbewohnern gelernt. Zur Einweihungsparty seines Bauwagens lädt er zu einem Grillabend, für den er Schafskopf nach traditioneller Kameruner Art zubereitet. Das Schaf schlachtet er selber, lässt es kopfüber ausbluten und zieht ihm dann das Fell über die Ohren. Die Technik hat er sich bei den Ureinwohnern Kameruns abgeschaut. Das Rezept auch. Demnach darf der Ehrengast des Abends die Augen verspeisen. Die meisten lehnten höflich ab.
Bevor er nach Deutschland kommt, wandert er 2005 mit seinem Holrückerpferd Evita, seiner „ersten großen Liebe“, drei Jahre nach Finnland aus. Dort hungert er zum ersten Mal in seinem Leben, hat nicht genug Arbeit, arbeitet aber wieder als Förster. Gemeinsam mit seinen Kollegen erarbeitet er einen innovativen Forstwartungsplan, den sie in einem Gerichtsverfahren gegen den finnischen Staat verteidigen müssen. Sie gewinnen. Ab jetzt ist eine nachhaltige Aufforstung als Alternative zum Kahlschlag möglich. Mijland lernt dabei ein wenig finnisch – deutsch, englisch und französisch spricht er schon. Er gründet ein Forstbüro, arbeitet mit dem NABU und Greenpeace zusammen. Er verhindert, dass der letzte Bestand des Urwalds in Lappland abgeholzt wird. Er hat Erfolg, doch das Land bleibt ihm fremd. Als er im Sommer 2006 sein Boot zur Arbeit verpasst, trifft er eine Frau aus Sachsen, er verliebt sich noch auf dem Bootssteg. Sie will keine Fernbeziehung, also übergibt er seinen Anteil am Büro seinen Kollegen, verkauft sein Pferd und zieht nur mit seiner Gitarre im Gepäck nach Dresden.
Doch auch die Verwaltungsfestung Deutschland macht es dem Holländer schwer, Arbeit zu finden. In einem Industriegebiet eröffnet er ein Atelier, arbeitet nebenbei als Koch, Schweißer, Zimmermann, Kutscher, Übersetzer und immer wieder als Holzfäller. „Ich habe manchmal für einen Stundenlohn von fünf Euro einen Anfahrtsweg von eineinhalb Stunden mit dem Rad in Kauf genommen.“ Bald aber kennen ihn viele Leute, bieten ihm waghalsige Abholzungsaufträge an oder kaufen ihm Kunst ab. Das Dresdner Militärmuseum erwirbt eine seiner Metallskulpturen, eine Münchner Galerie stellt etwas von ihm aus. Auch nach Norwegen verkauft er und liefert gleich persönlich an. Dann nimmt er doch noch ein Studium an einer holländischen Universität auf, verdient sein Geld bei der Forstinventur für den Niederländischen Staatsforst. 2011 schreibt er seine Diplomarbeit über die Abholzungsriten eines surinamischen Indianerstamms. Im südamerikanischen Regenwald stößt er auf einen geduldeten Umweltskandal. Er recherchiert zur Quecksilberverschmutzung der Flüsse, Kollateralschaden beim Goldabbau. Weil er um das Gesundheitsrisiko für die Menschen weiß, die aus dem Fluss trinken, riskiert er eine Freiheitsstrafe, schmuggelt Bodenproben außer Landes und hofft, dass die Ergebnisse genügend Aufmerksamkeit erregen.
Auch seine Kunst ist eng verbunden mit seinem Anspruch, die Augen vor den Ungerechtigkeiten des Lebens nicht zu verschließen. Neben seinem Bauwagen steht eine große Scheune, die Wouter Mijland mit befreundeten Künstlern zu einer Werkstatt ausgebaut hat. Darin bohrt und schweißt er weiter an seinen Skulpturen: Eine von Terror durchlöcherte Gießkanne, politische Satire auf Ölkanistern, mahnende Besteckkarusselle − ohne das Wissen um sein Engagement wirkt das leicht wie die leere Symbolkunst eines Besserlebenden. Doch sind die Skulpturen Teil von Mijlands Arbeit, er verarbeitet darin die Widersprüche, an denen er nicht selten scheitert. Sein letztes Forstprojekt liegt nun ein halbes Jahr zurück, doch noch immer ist er enttäuscht von dem was er zuletzt in den Kameruner Regenwäldern erlebte.
„Ich sollte im Auftrag einer holländischen Hilfsorganisation Menschen aus den Kommunalwäldern ausbilden, damit sie lernen wie sie Holz auf dem europäischen Markt vermarkten, einen besseren Preis erzielen, um sich eine Wellblechhütte bauen oder eine Ausbildung für ihre Kinder leisten zu können.“ In den zweieinhalb Monaten, die Mijland in den Wäldern Kameruns verbrachte, kam er zu der Einsicht, dass das über fünf Jahre geflossene Geld nur denjenigen geholfen hat, die weiter oben im Forstgeschäft arbeiteten. Das Land sei korrupt. Seit 1982 wird die Republik Kamerun beherrscht von Premierminister Paul Biya. „Alle, die politischen Einfluss haben, machen mit, der Staatsforst, der Gouverneur, der Bürgermeister − selbst die örtlichen Onrganisationen, die eigentlich helfen sollten, wollen an den Ärmsten verdienen“, sagt Mijland. Seine Wut ist groß. „Mithilfe der Entwicklungsgelder hat sich eine neue Elite gebildet, die sich mit der alten, korrupten vermischt hat. Zusätzlich wird wild abgeholzt, auch Arten, die für die Waldvölker der Bantu und Baka wichtig sind, wie der Moabi-Baum, aus dem sie Früchte, Öl, Nüsse und Antibiotika gewinnen. Die sogenannte nachhaltige Forstentwicklung macht den Alltag der Armen nur schwerer.“
Zurück in Holland berichtet er von seinen Erfahrungen. Doch seine Auftraggeber wollen nicht hören, dass ihre Maßnahmen vielleicht nicht funktionieren. „Sie haben andere Beratungsreporte gelesen, die waren nie negativ. Aber diese Prüfer haben sich das Ganze nur von oben angeschaut, lebten im Hotel und sind mit dem Geländewagen rumgefahren. Ich nehme mit der Zielgruppe − den Waldbewohnern – Kontakt auf und lebe mit ihnen zusammen. Dadurch bekomme ich Informationen aus erster Hand, die man bei der Führung durch korrupte, lokale Projektbetreuer nicht erhält.“ So steht diese Bilanz im Raum: fünf Jahre Aufwand, rund eine Million Euro und − glaubt man Wouter Mijland − kein Nutzen. Nur Schaden. Aufträge kriegt er dort nun auch nicht mehr. Es ist ihm sowieso egal. „Die Chancen liegen nicht in den großen Organisationen, eher in den kleinen Hilfestellungen. Ich habe in Kamerun einen Pfarrer kennengelernt, der sich im Anbau von Kakaoplantagen auskennt. Dem hab ich die Reisekosten zu den Baka in den Busch gezahlt und er hat ihnen alles beigebracht. Hat am Ende vielleicht 80 Euro gekostet und vermutlich mehr gebracht als die Millionenförderung.“
Jetzt braucht auch Wouter Mijland mal eine längere Pause. In der Nähe seines Bauwagens befindet sich ein Schrottplatz, ein wichtiger Grund für seine Ortswahl. Was andere nicht mehr brauchen ist für ihn eine riesige Schatzinsel. Denn er schaut genau hin und erkennt so Dinge, die
Foto Amac Garbe
andere nicht sehen. Oder nicht sehen wollen.
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