Erholung beginnt im Keller

Zwischen die Online-Präsentation eines Wellness-Hotels und die Wirklichkeit vor Ort passen manchmal viele Fango-Packungen.

Ich liebe die Vorstellung, mich in einem Hotel einmal komplett verwöhnen zu lassen. Meistens scheitere ich allerdings schon bei der Anmeldung der Massagen, weil die Termine längst ausgebucht sind, wenn ich weiß, wo genau ich entspannen will. 

Im Hotel, in dem ich jetzt eingechekt habe, ist gerade Winterpause und absolute Nebensaison. So neben der Saison bin ich dort zu Gast, dass ich genau angeben muss, wann und ob ich frühstücken und abendessen will. Umso überraschter bin ich, dass es reichlich Auswahl beim Wellness-Angebot gibt, das sich auch kurzfristig noch buchen lässt. Von einer warmen Steinmassage bis zum orientalischen Rhasul ist alles möglich. Und weil ich gerne da urlaube, wo sich auch Rentner wohlfühlen – viel Ruhe und so – gibt es einen, dem Hotel angeschlossenen Physiotherapietrakt, in den ich direkt im Bademantel schlappen kann. Ein Urlaubsparadies!

Ich buche unter anderem auch eine Mooranwendung, von der ich nach der Bestellung nur weiß, dass es kein Vollbad wird, da diese Behandlung rezeptpflichtig ist. Wer will nicht gern vom Doktor höchstpersönlich in den Entspannungsurlaub geschickt werden? Nun, mir ist dieser Luxus nicht vergönnt, ich begnüge mich also mit einer Moorpackung. Auf den Werbebildern liegt ein Gast entspannt in grüner Landschaft und vor der einzigen Sehenswürdigkeit des Ortes, eine junge Therapeutin bestreicht ihn mit heilendem Moor, „Massage im Park“ steht darüber, vermutlich die pure Entspannung.

Nun ist allerdings Winter und eine Außenanwendung eher keine Option. Also laufe ich in meinem weißen Bademantel durch endlose Hotelgänge, nehme einige Treppen und lande irgendwann im Keller. In der Physiotherapie. Der Einrichtungsstil wird auf dem Weg dorthin immer karger. Und er nimmt in den Behandlungsräumen noch einmal ab. Jeder, der schon mal einen Horrorfilm gesehen hat, in dem Menschen in Badewannen abgemetzelt werden, hat sofort die passende Kulisse im Kopf: von einem dunklen, muffigen Gang gehen mehrere komplett geflieste Räume ab, Grundton dunkelbeige, in deren Mitte jeweils eine Metallwanne steht, die mit schwarzen Moorresten verkrustet ist. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass die Wannen nach jeder Behandlung abgespritzt werden, zumindest hoffe ich das sehr. Da die Taktung der Gäste aber wohl sehr eng geplant ist, sehe ich die Krusten noch. 

Ich werde in eine ebenso muffige Kabine geführt, in deren Ecke ein trauriges Regal mit – immerhin – weißen Handtüchern steht. Darauf ein gefilzter Weihnachtsbaum, vermutlich fürs stimmungsvolle Ambiente. Ich werde gebeten, mich auszuziehen und wenig später liege ich auf einer Plastikpritsche in dem, was meine Wohlfühlmoorpackung sein soll: ein Haufen heißer Dreck, der auf einer Folie dampft. Etwas mühsam rüttele ich mich an die richtige Stelle, das heiße Moor brennt sich mir sofort in den Rücken. Dann werde ich wie ein Dürüm eingepackt und mit MDR Sachsen alleine gelassen, mit einem Sender also, der deutsche Schlager und englische Oldies im gnadenlosen Wechsel auf meine Erholung abfeuert. Radio ausschalten ist keine Option, weil: zentrales System. Nicht auszudenken, dass ein Gast während seiner entspannenden Behandlung wegen mir auf den Dudelfunk verzichten müsste. Kurz darauf geht es trotzdem aus und die Therapeutin schaut kurz bei mir rein. Ich nicke Zustimmung, mehr geht auch gar nicht. Während das viel zu heiße Moor viel zu schnell lauwarm wird, und ich dann einfach sehr weich herumliege, versuche ich abzuschalten. Da aber nun das Radio aus ist, höre ich stattdessen, wie die alten Krusten aus den Nachbarwannen gebraust werden. 

Ich lächle, weil ich in diesem Moment schon weiß, dass diese Anwendung zwar keine Tiefenentspannung, aber immerhin kreative Schreibenergie freisetzen wird. Irgendwann klingelt ein Wecker, die zwanzig Minuten Einwirkzeit sind rum, ich werde ausgewickelt und darf mich abduschen. Also ab in eine Mini-Nasszelle, die noch ein wenig oller wirkt mit ihrer verrosteten Armatur. Ich versuche, alle dunklen Stellen von meinem Körper zu rubbeln, doch das weiße Handtuch ist am Ende voller schwarzer Flecken. Beschämt gebe ich es ab. Immerhin hab ich mich allein gereinigt, das schaffen wohl nicht alle Hausgäste. Ich bewundere meinen jetzt roten Rücken, ziehe meinen Bademantel an und steige aus dem dunklen Therapiekeller empor in meine richtige Wellness-Oase, die das Hotel ist. Als ich wenig später bei geöffnetem Fenster in meinem wohlriechenden Bett liege, spüre ich tiefe Dankbarkeit. Dafür, dass ich kein Rezept für ein Moorvollbad bekommen habe.

Foto: PR-Bild von der Hotel-Webseite, leicht anonymisiert

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